Kaiser und sein Attentäter, Der
(Jing ke ci qin wang)

09.12.1999, China, 163min
Filmspiegel-Auszeichnung
R: Chen Kaige
B: Peigong Wang
D: Gong Li,
Fengyi Zhang,
Xuejian Li,
Xiaohe Lu
L: Webseite, IMDb
Ausgezeichnet
209
Gelungen
110
Mittelprächtig
116
Dürftig
129
Schrott
128
692
„Ich saß auf seinem Schoß, als er mich das erste Schriftzeichen lehrte”
Inhalt
230 vor Christus. Noch ist das spätere China in sieben Königreiche gespalten. Doch Ying Zheng (Li Xuejian), der König von Qin, hat eine gewaltige Vision: Wie seine Vorfahren verfolgt er das Ziel, die anderen sechs Provinzen zu unterwerfen und als Kaiser über ein vereintes Imperium zu herrschen. Lady Zhao (Gong Li), Ying Zhengs Konkubine und Geliebte seit seiner Jugendzeit, unterstützt den Traum ihres Königs nach Kräften. Doch im Gegensatz zu Ying Zheng, der mit militärischen Mitteln die benachbarten Königreiche zur Vereinigung zwingen will, versucht sie, unnötiges Blutvergießen zu vermeiden. Sie ersinnt einen raffinierten Plan, um ihr Heimatland Zhao vor dem Untergang zu retten: Der professionelle Attentäter Jing Ke (Zhang Fengyi) soll im Auftrag des Prinzen von Yan einen Mordanschlag auf den König verüben. Zhao jedoch will Ying Zheng rechtzeitig warnen, damit diese Intrige dem Monarchen die Rechtfertigung geben kann, das verfeindete Yan zu erobern und Zhao zu verschonen. Doch das brutale Vorgehen des Königs zwingt seine Konkubine dazu, das inszenierte Attentat nun tatsächlich ausführen zu lassen. Aber nur schweren Herzens läßt sie den tapferen Krieger Jing Ke auf seine selbstmörderische Mission ziehen.
Kurzkommentar
Starregisseur Chen Kaige glückt im teuersten chinesischen Film aller Zeiten eine monumentale, aber keineswegs glorifizierende Illustration des Gründungsmythos vom 'Reich unter dem Himmel'. Verschiedene Erzählstränge und Perspektiven werden durch Verarbeitung von historischen Tradierungen, Legenden und klassischen Liebesgeschichten vor allem handwerklich brilliant miteinander verknüpft. Ein ungewöhnlich kontemplativ erzähltes, metaphernreiches Epos, dessen Schwäche in der Distanz zu seinen Darstellern und dem unterschwelligen Hollywoodethos liegt.
Kritik
Chen Kaige ist gilt der chinesischen Führung als regieführender Querulant, dessen Filme entweder zensiert oder erst nach regimekonformer Schnitttätigkeit gezeigt werden. Denn obwohl Kaige, der in seinen Filmen bisher immer den Blick zurück (in die Geschichte) wandte, als äußerst befähigt anerkannt ist, werden seine Werke immer auch als Kritik an der politischen Gegenwart aufgefasst. Nicht zu unrecht. Sein letzter Film, 'Lebewohl, meine Konkubine', thematisierte Homosexualität vor dem Hintergrund der zerrüttenden 'Kulturrevolution', die genau das Gegenteil vom Inhalt des euphemistischen Begriffs brachte. Wurde Kaige 1993 dafür mit internationaler Aufmerksamkeit und in Cannes mit Preisen belohnt, sah Peking in ihm eine immer größere Gefährdung der Staatsraison.

Überraschenderweise schienen die Diskrepanzen im letzten Jahr ausgeräumt, so dass Kaige mit der aufwendigen Produktion eines Filmes beginnen konnte, der die Geschichte der legendenbehafteten Entstehung des chinesischen Riesenreiches erzählt. 'Der Kaiser und sein Attentäter' kommt nun in der über eine halbe Stunde gekürzten Fassung in unsere Kinos, die von den chinesischen Zensoren als patriotisches Werk gefeiert wurde. Vieles muss auf dem Schneidetisch gewichen sein, denn die Erstfassung, der man wieder radikal regimekritische Elemente unterstellte, sorgte für große Entrüstung.

Die zurechtgestutzte Fassung wird nun in China als Meilenstein des Kinos gefeiert und als Legitimationsgrundlage propagandistisch ausgeschlachtet. Doch blinder Patriotismus ist hier nicht zu finden, denn Kaige, sich wieder auf seinem Terrain der eigenwilligen Geschichtsinterpretation bewegend, entwirft eher ein tyrannisches Bild des legendenumwobenen Ying Zheng, dem ersten Kaiser von China. Deutlich ist dessen antithetische Konzeption, der zwar von der friedensstiftenden Vision der Vereinigung der sieben verfeindeten Reiche beseelt ist, jedoch andererseits zur Realisierung dieses Ziels jedes Königreich mit blutiger Gewalt annektiert. Zwei Herzen schlagen in seiner Brust. Eines bietet dem Zuschauer Teilidentifikation, indessen das andere verrät, dass Zheng eigentlich nur Opfer seiner Weltmachtvision ist.

Formal spielt sich die Handlung in der klassischen Dramaturgie des Fünfakters ab, von der Exposition bis zur Katastrophe. Doch spätestens beim Schauspiel ist der Zuschauer mit Befremdlichem konfrontiert. Bildet bei uns die Mimik eine Grundlage des Schauspiels, so scheinen hier die Emotionen vornehmlich hinter Masken der Nichtregung verborgen. Ohne Frage ist es durch kulturelle Konventionen und nicht durch das (hervorragende) Drehbuch bedingt, aber so bedacht die Protagonisten auch agieren - nur selten reflektieren sich die aufwühlenden Ereignisse in mitreißender Emotionalität. Gong Li, die wohl als einzige Darstellerin auch hierzulande bekannt sein dürfte, ist deutlichstes Exempel für die dadurch erzeugte Distanz zum Geschehen und auch zum Zuschauer. Ihr auch mit Brandmal makelloses Gesicht ist weiß wie eine porzellanhafte Fassade geschminkt, die nur selten von Tränen durchbrochen wird.

Aber auch wenn die Gefühlswelt versteckt wirkt, liegt im reservierten, stolzen Schauspiel, das gleichzeitig das Tempo der Handlung diktiert, auch seine Stärke. Eine Eigenart, die aufzeigt, wie gesellschaftliche Repräsentationsriten der Individualität des einzelnen vorgezogen werden. Glänzend ist Xuejian Li in der Rolle des ehrfuchtsgebietendendes Kaiser-Vaters. Das Miteinander auf allen Ebenen folgt formelhaften, untheatralischen Konventionen, von denen einige beim europäischen Zuschauer nur Achselzucken hervorrufen. Es sind eher die Blicke und Gesten und nicht die Sprache das treibende Moment. Gewöhnungsbedürftig ist ein mehr reflektierend-langsames Tempo, das unseren 'lauten' Erwartungen an ein Epos zuwiderläuft, den Zuschauer mehr fordert und in seiner Ausstattungspracht derweil wieder ganz monumental wirkt.

Fast scheint es, als wollte Kaige mit den zur Verfügung stehenden 40 Millionen-Dollar Hollywood zeigen, dass auch China Großproduktionen drehen kann. So zögerte er nicht, eine komplette Palastanlage aufbauen zu lassen, die nach dem Dreh für weitere Produktion und touristische Zwecke genutzt werden soll. Nicht nur sie, sondern das gesamte Setdesign ist imposant und entführt in Zeit der 'streitenden Reiche', wenngleich der Eindruck mitschwingt, dass sich die Gesamtkonzeption mitunter zu stark an der Hollywoodästhetik orientiert. Trotzdem das Schaustück phasenweise ein wenig statisch und die Dramaturgie eher westlichen Geschmäckern zu entsprechen scheint, so versteht es Kaige doch, ein intelligent erzähltes Historienspektakel aus verschiedenen Elementen zu montieren. Der naheliegende Vergleich zu Bernado Bertuluccis 'Der letzte Kaiser' lässt Chen Kaiges Werk als eine art chronologischen Gegenentwurf erscheinen, der weniger epochal, aber dafür näher an chinesischer Identität wirkt.

Menschheitsgeschichtliche Motive von Verrat, der Gegenverrat erzeugt, von dezenter Mythen- und Legendenverarbeitung treffen auf klassische Dichtomien um Verlangen und Liebe, Wortbrüchigkeit und Intrigen. Plastisch sind die Träume der Handelnden, die die Kontraste von Hass und Liebe, Krieg und Frieden nachhaltig reflektieren. Chen Kaiges Geschichtswerk ist der chinesischen Führung wenig opportun, schwelgerisch ausgestattet und beleuchtet die Vorgänge subtil aus verschiedenen Perspektiven. Trotz einiger plakativer Schwächen und eher vordergründiger Kultur ein sehenswertes Epos, das uns das ferne, exotische China ein wenig näher bringt.

Brilliant ausgestattete Interpretation des chinesischen Gründungsmythos.


Flemming Schock
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