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Eine wahre Geschichte – The Straight Story ist ein Roadmovie von Regisseur David Lynch aus dem Jahr 1999, basierend auf der echten Geschichte des Rentners Alvin Straight, der die fast 400 Kilometer lange Strecke zu seinem Bruder auf einem Aufsitz-Rasenmäher zurücklegte. Das Drehbuch verfassten John E. Roach und Mary Sweeney, letztere war auch für die Produktion und den Filmschnitt verantwortlich. Hauptdarsteller Richard Farnsworth erhielt eine Oscar-Nominierung.

Inhalt

Handlung

Der 73-jährige Rentner Alvin Straight will nach sehr langer Zeit seinen Bruder Lyle besuchen, da dieser einen Schlaganfall erlitten hat. Die beiden liegen seit zehn Jahren im Streit, und Alvin möchte diesen Streit nun beenden. Alvin besitzt wegen seiner Sehschwäche keinen Führerschein mehr und möchte nicht gefahren werden. Deshalb will er den 240 Meilen (390 Kilometer) langen Weg von seinem Wohnort Laurens, Iowa, zu dem seines Bruders in Mount Zion, Scott, Wisconsin, auf seinem Aufsitz-Rasenmäher zurücklegen. Doch um die Gesundheit des Witwers Alvin steht es auch nicht zum Besten – er muss sich wegen Hüftschäden auf Stöcken fortbewegen, sein Arzt vermutet Diabetes bei ihm und bittet ihn dringlich, aber vergeblich, das Rauchen aufzugeben. Auch daher trauen Alvin die meisten seiner Freunde im Dorf die weite Reise nicht zu. Seine Tochter Rose, bei der er lebt, ist zunächst auch skeptisch, unterstützt ihn dann aber bei den Vorbereitungen zu seiner Reise.

Alvins erster Versuch scheitert schon nach wenigen Meilen, als sein betagter Rasenmäher auf offener Strecke liegen bleibt. Er wird mit seinem Rasenmäher nach Hause gebracht. Ähnlich einem alten Pferd, „erlöst“ er das alte Gefährt mit dem Gewehr von seinem Leiden und versetzt ihm den Gnadenschuss. Er geht zu dem örtlichen John-Deere-Händler und kauft einen ebenfalls bereits älteren Rasenmähertrecker von 1966, dessen Motor aber deutlich besser ist. Alvin beginnt seine Reise von neuem und kommt nun tatsächlich erfolgreich voran. Er übernachtet in seinem Anhänger, den er mit Planen und seiner Camping-Ausrüstung zu einem kleinen behelfsmäßigen Campingwagen umgerüstet hat.

Auf seiner sechswöchigen Reise hat er viele Begegnungen und Erlebnisse. Er trifft eine junge Anhalterin, die Probleme mit ihrer Familie hat und deshalb davongelaufen ist. Alvin erzählt ihr beim gemeinsamen Lagerfeuer, dass ein einzelner Mensch wie ein einfacher Stock leicht brechen könne, eine Familie aber wie ein Bündel aus Stöcken und daher schwer zu brechen sei. Am nächsten Morgen ist die Anhalterin bereits verschwunden und hat Alvin ein Bündel aus Stöcken hinterlassen. Später erlebt Alvin, wie eine Autofahrerin ein Reh totfährt und ihm dann verzweifelt berichtet, dass sie – wie ein Fluch – in den letzten Wochen trotz Vorsichtsmaßnahmen schon einige Rehe überfahren hätte. Alvin versteht sich darauf, das Reh für sein Abendessen herzurichten. Mit jungen Radfahrern, die an ihm vorbeiziehen, unterhält er sich über das Älterwerden.

Als Alvin sich dem Mississippi River nähert, wird das Gelände zunehmend bergig und er baut fast einen schweren Unfall. Sein Rasenmäher muss repariert werden, woraufhin er mit seinem Anhänger im Schuppen des hilfsbereiten Ehepaares Riordan übernachten darf. Mr. Riordan bietet Alvin an, ihn auch mit dem Auto zu seinem Bruder fahren zu können, doch der alte Mann lehnt ab, da er die Reise eigenständig zu Ende bringen will. Alvin geht mit dem Dorfbewohner Verlyn, der wie er im Zweiten Weltkrieg gedient hat, etwas trinken und die beiden tauschen sich über Kriegserfahrungen aus. Zunehmend emotional berichtet Alvin davon, dass er als Scharfschütze im Krieg viele Menschen getötet habe, einmal sogar versehentlich einen befreundeten Kriegskameraden. Das habe er bis jetzt noch nie jemandem erzählt. Nachdem der Rasenmäher von einem Brüderpaar im Dorf repariert wurde und Alvin die Kosten auf ein für ihn angenehmes Maß herunterhandeln kann, setzt er seine Reise fort und fährt über den Mississippi River.

Kurz vor seinem Ziel übernachtet Alvin nahe einem Friedhof, woraufhin der örtliche Pfarrer sich zu ihm setzt. Der Pfarrer kennt Alvins Bruder Lyle, woraufhin Alvin ihm von seiner gemeinsamen Jugend mit Lyle berichtet: Sie seien unter harten, kargen Umständen auf einer Farm aufgewachsen und die größte Hoffnung hätten beide bei dem gemeinsamen Schauen auf die Sterne erlebt. Dann hätten sie über ihre Träume für die Zukunft geredet. Schließlich findet Alvin seinen Bruder, der abgelegen in einer ziemlich verwahrlosten Hütte lebt und sich auch nur mit Stöcken fortbewegen kann – doch lebend und offenbar gut von seinem Schlaganfall genesen. Lyle lädt seinen Bruder zum Sitzen auf seiner Veranda ein und fragt nach einigen Momenten, ob er den ganzen Weg extra zu ihm mit dem Rasenmäher gefahren sei. Alvin bejaht und gemeinsam schauen sie zu den Sternen hinauf.

Kritik

The Straight Story wurde von Kritikern gut aufgenommen, wobei viele die Schauspielleistung von Richard Farnsworth hervorhoben und bemerkten, dass Lynch mit dem für ihn eigentlich ungewöhnlichen Filmstoff gut gearbeitet hätte. Bei Rotten Tomatoes besitzt der Film, basierend auf 91 Filmkritiken, eine positive Bewertung von 96 %.[15] Der US-Kritiker Roger Ebert, zuvor meist negativ gegenüber Lynchs Filmen eingestellt, gab ihm die Höchstwertung von vier Sternen. Er hob das Drehbuch von John Roach und Mary Sweeney hervor, das „Poesie und Wahrheit in der exakten Auswahl der richtigen, alltäglichen Wörter“ finde und so an den Realismus der Dialoge bei Ernest Hemingway erinnere. Kameramann Freddie Francis schaffe es, die Landschaften Iowas schön, aber gleichzeitig auch nicht kitschig oder zu angenehm zu inszenieren.[16]

Lovorko Maric schrieb in einem Essay zum Film, dass für alle Skeptiker Lynchs, die nur den bizarren Surrealismus seiner Werke sehen würden, The Straight Story ein gutes Antidot sei. Hier zeige Lynch auch seine gefühlvolle Seite, die sonst meist unterbeachtet werde, da er in seinen anderen Filmen meist die dunklen Ecken Amerikas voller Bigotterie und Korruption zeige. Lynch zelebriere hier aber insbesondere den Mittleren Westen der USA mit Kameraschüssen von Mähdreschern, freundlichen Menschen und Sonnenuntergängen. Trotzdem seien an der ein oder anderen Stelle Anklänge an die Düsternis von Lynchs anderen Filmen erkennbar, etwa in der Anfangsszene, in der Alvin zusammenbreche, und in dem Auftritt der wütenden Autofahrerin, die ein Reh getötet hat. Und ähnlich wie bei vielen Filmen von Lynch seien auch in The Straight Story das Bedauern sowie der Schatten der Vergangenheit zentrale Themen der Handlung.[17]

Der Filmdienst urteilte, der Film sei „mit großem Geschick“ inszeniert. Er fasziniere, obwohl er im „gedehnten Tempo“ gehalten sei: „Nur manchmal scheint sich die düstere Gegenwelt zu Wort zu melden, die jedoch gegen die innere Ruhe und Lebensweisheit der Hauptfigur nichts ausrichten kann.“[18] Auch die Fernsehzeitschrift Prisma hob den geschickten Einsatz von Langsamkeit im Film hervor: „Dieser Film besticht gerade durch seine Langsamkeit. Denn Lynch hat sich hier ganz der Geschwindigkeit des Rasenmäher angepasst. Ohne Effekte erinnert das Werk an einen wunderbaren, gemächlich dahinplätschernden Bachlauf, bei dem hinter der ein oder anderen Windung durchaus eine Überraschung lauern kann.“[19]

Olaf Schneekloth schrieb in Der Spiegel, dass sich seit Miss Daisy und ihr Chauffeur „kein Film mehr so behutsam, rührend und großartig der Würde des Alters angenommen“ habe wie The Straight Story. Lynch erzähle „geradlinig“ und „ohne Umschweife“ eine Geschichte, die „in ihrer Schlichtheit die Höhen und Tiefen eines ganzen Lebens offenbart“. Zugleich sei er auch eine Verbeugung vor dem ländlichen Amerika, das in den vorherigen Lynch-Filmen eher schlecht weggekommen sei. The Straight Story, so Schneekloth, folge der „alten Tradition des Geschichtenerzählens“ und lasse die Hauptfigur und nicht andere Figuren aus seinem Leben erzählen: „Ganz langsam lernt man Alvin kennen und verstehen. Ganz langsam, so wie Alvin die Straße entlangzuckelt, steigen Rührung, Sympathie und Respekt für den alten Mann auf, für seine große Aussöhnungsgeste und für sein bewegendes Lebensresümee.“[20]

„So straight und anrührend, daß der Film in den USA von Walt Disney in den Verleih genommen wurde […] eine Selbstrevision […] Selbst wenn man den Film auf diese Weise sieht, bleibt er verstörend schön. […] Alvins Reise in den Tod vermittelt manchmal pures Glück. Aber von dem, was er zurückläßt, geht kaum ein Trost aus. […] Zu einer solchen Einfachheit in der Darstellung der menschlichen Tragödie und ihrer Komödie kommt man nicht auf geradem Weg.“

– Georg Seeßlen[7]

 

 

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