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Herr Lehmann ist der Titel des Romandebüts von Sven Regener, des Gründers und Sängers der Band Element of Crime. Das Buch wurde 2001 bei Eichborn veröffentlicht und wenig später im Literarischen Quartett positiv besprochen. Die gleichnamige Verfilmung folgte im Jahr 2003.

Das erste Kapitel von Herr Lehmann erschien bereits 1997 im Salmoxisboten unter dem Titel Der Hund.[1] Laut Sven Regener existierte dieser Text bereits seit 1991, er sei anlässlich des 30. Geburtstages einer Freundin geschrieben worden.[2]

Die Handlung von Herr Lehmann ist in Berlin-Kreuzberg im Sommer und Herbst des Jahres 1989 angesiedelt. Das Buch ist der Beginn einer Reihe, zu der die später erschienenen Bände Neue Vahr Süd, Der kleine Bruder, Wiener Straße und Glitterschnitter gehören, deren Handlungen zeitlich vor den Ereignissen des Buches Herr Lehmann liegen, sowie der Roman Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt, dessen Handlung nach Herr Lehmann spielt.

Inhalt

Handlung

Der 29-jährige Frank Lehmann, der zu seinem Missfallen von seinen Freunden nur immer „Herr Lehmann“ genannt wird, lebt in Berlin-Kreuzberg und arbeitet dort in der Kneipe „Einfall“, die vom schwäbischen Wirt Erwin Kächele geführt wird. Die Geschichte um den Herrn Lehmann und seine Freunde thematisiert ein Lebensgefühl junger Erwachsener in West-Berlin im Herbst 1989 kurz vor dem Fall der Berliner Mauer.

Kapitel 1–7[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

An einem Sonntagmorgen macht sich Herr Lehmann nach einer Schicht im „Einfall“ betrunken auf den Heimweg. Dabei trifft er am Lausitzer Platz auf einen Hund, der ihm den Weg versperrt. Herr Lehmann hat Angst und ist mit der Situation überfordert.

Der Leser hat hier, wie auch an zahlreichen anderen Stellen des Romans, direkten Anteil an Lehmanns Gedanken. Die Situationskomik ergibt sich aus der Differenz zwischen Herrn Lehmanns Denken und Handeln. Durch die subjektive Erzählperspektive kann der Leser den Widerspruch gut nachvollziehen.

Die Konfliktsituation mit dem Hund löst Herr Lehmann, indem er ihn mit Whiskey betrunken macht. Eine Polizeistreife droht ihm deshalb, ihn wegen Tierquälerei zu belangen, sieht jedoch davon ab und wird von dem Hund auch noch gebissen, wie Herr Lehmann beim Weggehen bemerkt. So findet Herr Lehmann schließlich doch noch nach Hause.

Am Vormittag reißt ihn der Anruf seiner Mutter aus dem Schlaf. Die in Bremen lebenden Eltern wollen ihren Sohn nun erstmals in Berlin besuchen. Verkatert und von dem bevorstehenden Ereignis wenig begeistert, zumal er seinen Eltern vorgelogen hatte, Geschäftsführer eines Restaurants zu sein, macht sich Herr Lehmann auf in das Lokal „Markthalle“, wo er seinen besten Freund Karl trifft. In seiner schlechten Laune ärgert er sich über die „Sonntags-Frühstücker“, die alle Tische besetzt halten. Aus Trotz verlangt er einen Schweinebraten, was der neuen Köchin Katrin angesichts der frühen Uhrzeit wiederum nicht passt. Sie verwickelt Herrn Lehmann in eine Diskussion, die zu philosophisch anmutenden Themen wie „Lebenssinn“ oder „Zeit“ führt. Herr Lehmann verliebt sich dabei in Katrin. Er trifft sie am selben Tag noch zweimal kurz, am Nachmittag im Prinzenbad und am Abend erneut im „Einfall“.

Kapitel 8–20[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Während das erste Drittel des Buches einen Tag erzählte Zeit abdeckt, erstreckt sich die Handlung der folgenden Kapitel über mehrere Wochen. Im Mittelpunkt stehen Lehmanns Beziehungen zu Katrin, seinen Eltern und seinem besten Freund Karl.

Die Erzählperspektive bleibt weiter auf den Protagonisten fokussiert. Der Autor behält einen eingeschränkten Blick auf die Lebenswirklichkeit des Milieus in Berlin-Kreuzberg bei, ohne dabei Bezüge zur historisch-politischen Situation herzustellen. Letzteres geschieht nur dann, wenn es unvermeidbar ist. So etwa wenn Herr Lehmann nach Ost-Berlin reisen muss und dort von Zollbeamten der DDR festgehalten wird. Dies stört ihn nur insofern, als seine persönliche Freiheit eingeschränkt wird und der Tag nicht verläuft wie geplant. Er ist fixiert auf seine Lebenswelt, seine Freunde und seine Umgebung. Und er lebt in dem „eingemauerten“ West-Berlin, sozusagen auf einer gedanklich abgeschotteten Insel.

Auf dieser „Insel des Lebens“ erreichen die drei Hauptaspekte der Handlung ihren jeweiligen Höhepunkt beim Zusammensein mit Katrin, mit Herrn Lehmanns bestem Freund Karl und beim Berlin-Besuch der Eltern. Karl gerät über eine geplante Kunstausstellung in eine Lebenskrise und erleidet einen Nervenzusammenbruch.

Alle drei Handlungsstränge führen mehr oder weniger in eine Sackgasse. War Herr Lehmann ursprünglich einmal hergekommen, um sich zu verwirklichen und ein eigenständiges, erfülltes Leben zu führen, spürt er nun, dass er auf seiner „begrenzten“ Insel an seine Grenzen stößt. Lehmann zweifelt immer wieder an sich selbst und den ihm Nahestehenden. Die Beziehung zu Katrin geht in die Brüche; es stellt sich heraus, dass beide völlig unterschiedliche Erwartungen an den anderen haben.

Der Besuch seiner Eltern entlarvt sein vermeintlich bodenständiges, solides Leben als Selbsttäuschung. Mit dem Zerbrechen seines Selbstbildes wird ihm klar, dass er im Grunde gerne aus seiner „Lebensinsel“ ausbrechen würde. Seinen Freund Karl muss er am Ende angesichts dessen akuter psychischer Probleme ins Krankenhaus bringen. Lehmann muss sich eingestehen, dass er nicht mehr in der Lage ist, die große Verantwortung seinem Freund gegenüber zu tragen.

So findet sich Herr Lehmann im Grunde allein im nächtlichen West-Berlin wieder. Er gibt sich in seiner Verzweiflung dem Fluchtpunkt hin, der sich wie ein roter Faden durch den ganzen Roman zieht – der Alkohol. Er beginnt eine Sauftour durch Kreuzbergs Kneipenwelt, möchte alles vergessen und muss zu allem Überfluss noch hinnehmen, dass er in dieser Nacht dreißig Jahre alt wird. Herr Lehmann hat jedoch überhaupt kein Problem damit, seinen Geburtstag alleine zu feiern.

Schluss[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Geschichte endet mit dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989. Herr Lehmann nimmt teils interessiert, teils gelangweilt daran Anteil und sieht sich das Geschehen aus der Nähe an. Ob angesichts seiner Lebenssituation auch für ihn Mauern fallen werden und er die Herausforderung, aus seiner beschützten Lebensinsel auszubrechen, annimmt, bleibt offen. Der Roman endet mit Herrn Lehmanns folgenden Gedanken: „Ich gehe erst einmal los […]. Der Rest wird sich schon irgendwie ergeben.“

Kritik

Am 17. August 2001 wurde der Roman in der ZDF-Fernsehsendung Das Literarische Quartett sehr positiv besprochen. Hellmuth Karasek sprach von einem „kleinen Wunder“, Marcel Reich-Ranicki bekannte, „schallend gelacht“ zu haben über den „hochbeachtlichen Roman“. Auch in der Presse wurde das Buch größtenteils gelobt.

„Kein Zweifel, daß hier ein glänzender Wenderoman aus westlicher Sicht vorliegt, der ebendeshalb so überzeugt, weil die Ereignisse in der DDR im Bewußtsein der Hauptfigur, aus deren Perspektive durchgängig erzählt wird, nur in Spurenelementen vorkommen - um westliches Desinteresse darzustellen, so scheint es, hätte man kein besseres Milieu als Kreuzberg, keinen besseren Romanhelden als Lehmann wählen können.“

– Tilman Spreckelsen: Frankfurter Allgemeine Zeitung[3]

„Lehmann säuft sich durch die Kreuzberger Kneipengemeinde, und irgendwann steckt ihnen einer am Tresen, die Mauer sei offen. "Ach du Scheiße", lallt Lehmann, und sein Kumpel echot: "Ach du Scheiße." Bei diesem ebenso banalen wie weltbewegten Befund bleibt der Roman praktisch stehen, und das ist schon mal genial. Denn was danach kam, wissen wir noch ziemlich genau, was davor aber war, haben wir einigermaßen gründlich vergessen. Deshalb wirkt zwölf Jahre später der Blick zurück wieder spannend - und Sven Regeners Blick, so frech wie frisch wie forschend, macht die Zeitreise zu einem mal zwerchfellerschütternden, mal melancholischen, immer aber anstrengungslos erkenntnisfördernden Vergnügen.“

– Jan Schulz-Ojala: Der Tagesspiegel[4]

„‚Herr Lehmann‘ ist ein freundliches, leichtes und gekonnt belangloses Buch, das es im einzelnen nicht an Originalität und Kraft fehlen lässt.“

– Thomas Steinfeld: Süddeutsche Zeitung[5]

 

 

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